R’Aga | Wasser des Lebens

Es schwappt und du wünschst, du könntest ewig bleiben.
Enge bedrängt dich, umhüllt, umsorgt und bedroht dich.
Kälte umfängt dich und ist doch völlig ohne Arglist.

Warum, fragst du, ist dieser gefährliche Druck viel leichter auszuhalten als jeder Leistungsdruck und jede Menschenmenge?

Umfassende Erleichterung als du in die Tiefe blickst. Es droht Orientierungslosigkeit, Angst und die tiefe Farbe der Abwesenheit aller Dinge. Dennoch hörst du das sanfte Rufen in deinem ach so langsamen Puls. Sieh mich, finde mich, füll deine Gedanken mit mir bis für nichts anderes mehr Platz ist als

Stille.

Nein, sagst du fest, wenn du auch vergessen hast, warum. Vielleicht fällt es dir wieder ein, wenn du oben bist, aber du wartest vergeblich. Die Tiefe hat dich gesehen, betastet und für dieses eine Mal entkommen lassen. Auch wenn du es leugnest,

im Zug,
in der Bar,
sogar beim Sex,

ist die Stille, die alles tötet, außer sich selbst, nur einen halben Gedanken entfernt. Erst dann erkennst du, dass du schon lange nicht mehr fliehen kannst.

Atemnot.

Deine Lungen arbeiten, doch es kommt nichts an. Die Nase ist frei, der Mund ist offen und dennoch fühlst du dich wie ein Fisch außerhalb des Wassers. Du keuchst beim Gedanken an morgen, übermorgen, deine Sorgen und Nöte, welche deine Welt prägen. Du kannst nicht fort, kannst nicht rennen. Weder vor Krieg, Schmerz, noch vor Demütigung und dem stillen Neid, dass alle anderen in allem besser sind als du – zumindest wirkt es so.

Erleichterung.

Dann endlich ziehst du deine zweite Haut über und betastest die technischen Spielereien, die ach so nötig sind. Endlich ziehst du das Blei über und die Tarierweste. Du fühlst dich unendlich schwer und weißt, dass sich so ein Meerestier an Land fühlt. Und dann – endlich – bist du im Wasser, endlich kannst du atmen und endlich, endlich ist alles gut. Alles ok, zeigst du deinem Partner und den Leuten auf dem Boot, alles ist wundervoll. Und die Stille sorgt nun doch dafür, dass du aus deiner Welt fliehen kannst.

Meeressäuger.

Du bist ein anderes Tier, wenn du im Wasser bist. Dein Puls verlangsamt sich und das Herz in deiner Brust schlägt anders. Selbst gegen deinen Willen wird dein Körper mit Glück geflutet, welches an Land nicht zu finden ist. Du siehst Farben, die es an Land erst seit der industriellen Revolution gibt. Dein Körper bewegt sich anders, langsamer. Und deine größten Schwächen – Überforderung und Langsamkeit – verwandeln sich in genaue Beobachtungsgabe und träge Eleganz. Einach atmen und der ganze Druck in der Lunge ist weg.

Fischmusik.

Es knackt ganz schrecklich in deinen Ohren. Wie eine Schallplatte ohne Lied, nur das Rauschen bleibt übrig. Du hast etwas falsch gemacht, ganz gewiss. Ade, Trommelfell. Komisch nur, dass deine Ohren nicht schmerzen. Die Fische in deiner Nähe kümmern sich nicht um dich. Du zeigst deiner Gruppe Probleme an, aber es hat nichts mit dem Trommelfell zu tun.

Wieder an Land, wo die Sprache regiert, wirst du bedrängt, was denn geschehen sei. Zu deiner eigenen Verwunderung reagiert dein Trommelfell wie gewohnt, also beschreibst du das Knacken der Schallplatten. Achso, lachen die anderen, das waren nur Fische, die miteinander sprachen.

Ohnmacht der Sprache.

Etwas, woran du nicht dachtest, als du mit dem Tauchen anfingst. Die Erleichterung, nicht sprechen zu müssen, sich nicht erklären zu müssen. Die verbleibenden Zeichen sind denkbar einfach und eindeutig: Alles gut? Alles gut. Gefahr, Problem, keine Luft, 50 Bar, Schildkröte, Walhai, nein, mehr mit dem kleinen Finger wackeln.

Und danach. Da sind alle so aufgeregt und aufgekratzt wie du. Hast du den Aal gesehen…? Und wie sich dieser eine Fisch versteckt hat! Und das Boot über uns, das hat sich wie eine Motorsäge im Wald angehört!

Nur über eines sprecht ihr nicht, wohlwissend, dass es gefährlich ist: Über den Sog der Tiefe, das Unaussprechliche, wofür es soieso keine Worte gibt. Lieber lachst du mit den anderen über den süßen Clownsfisch.